top of page

Hallux valgus (Teil 2) - seine Entstehung ist Komplex


Ein Rolfer behandelt die Waden bei Hallux valgus

In der Tat ist die Entstehung des Hallux valgus mit unter sehr komplex. Aus meiner Sicht zumindest.

Wer sich schon mal mit dem Hallux valgus selber befasst hat, oder auch mit einem anderen Problem, das den Bewegungsapparat anbelangt, der wird wohl am „Großmeister der Übungen zur Selbsthilfe“ nicht vorbeigekommen sein. Ich meine Roland Liebscher-Bracht. Kaum jemand anderer hat mit einem auch nur ähnlich großem Engagement die Probleme unseres Bewegungsapparates so feinsäuberlich durchleuchtet und für jedes nur erdenkliche Leiden eine ganze Reihe von Übungen entwickelt. Auch Leibscher-Bracht zählt als Ursachen für den Hallux valgus hauptsächlich die gängigen Meinungen auf. Roland Liebscher-Bracht schreibt im entsprechenden Beitrag auf seiner Internetseite das Geschehen hauptsächlich den verkürzten Faszien und der unnatürlich hohen Spannung im Fuß zu. Was seiner Meinung nach den Großzeh immer weiter zur Seite zieht. Seine Lösung der Problematik sieht in der Hauptsache die Dehnung der verkürzten Strukturen und die Förderung der Beweglichkeit vor.

Das Munkeln um die geheimnisvolle Wanderung des Großzehs geht weiter und weiter. Auch Liebscher-Bracht zitiert aus zahlreichen Quellen von Fuß-Spezialisten, von honorigen Doktoren und Professoren, von namhaften Universitäten und deren Forschungsergebnissen.

Was ihnen allen gemein ist, sie richten den Blick fast einzig und alleine auf den Fuß und den Großzeh. Und das, nicht nur bei der Suche nach den Ursachen des Hallux valgus, sondern auch bei der Therapie. Zugegeben, es liegt auch nahe, der Hallux valgus sieht bei, sagen wir mal, 80% der Betroffenen so ziemlich gleich aus. Dazu liegen die durch ihn erzeugten Beschwerden alle in den Füßen. Kein Wunder, dass man glaubt, im Fuß selbst sei die Ursache des Übels und genau dort müsse auch die Behandlung ansetzen. Man glaubt sogar, es müsse ein bestimmtes Gen dahinter stecken. Ganz ehrlich, ich sage Euch, wenn auch ich bei einem Hallux valgus nur den Fuß anschauen würde und alles andere außer Betracht lassen würde, auch mir würde nichts anderes einfallen. Auch ich würde sagen: Nehmen wir eine Schiene, die den Großzeh wieder dort hin drückt, wo er hingehört. Massieren und dehnen wir an den Strukturen, die unnatürlich hart und kurz sind. Wenn das alles nichts hilft, dann hat der Patient höchstwahrscheinlich nicht ausreichend geübt, oder die Situation ist schon so weit fortgeschritten, dass man nichts mehr machen kann. Zumindest wir als Manualtherapeut und der Patient als Übender können hier dann nichts mehr ausrichten. Dann würde auch ich auf die ultimative Idee kommen: Da muss der Chirurg ran. Am besten zerschneidet er den Knochen des Großzehs und setzt die Teile wie ein Tangram neu zusammen, so dass der Zeh wieder gerade ist. Vielleicht implantiert er auch irgendwelche Drähte oder Spangen, … was weiß ich. Der versierte Chirurg findet eine Lösung. Eine Lösung, die zumindest optisch gut aussieht und womöglich noch die Verdickungen der Mittelfußknochen verschwinden lässt damit der Fuß wieder in einen normalen Schuh passt ohne weh zu tun und wund zu scheuern.

Ein Problem einzig und genau dort zu behandeln, wo es seine Auswirkung zeigt, scheint für viele Menschen logisch und konsequent. Es ist auch ein einfaches Vorgehen. Es bedarf keinerlei Wissen über komplexe Zusammenhänge. Es ist jedem leicht zu erklären.

Doch sind wir uns mal ehrlich. Wenn ein Reifen eines Autos einseitig abgefahren ist, wer würde die Ursache des Verschleißes im Gummiprofil suchen? Oder im Aufbau des Reifenmantels? Am Luftdruck des Reifens? An der Auswuchtung? Oder gar an der Felge? Und würde er eine Werkstatt beauftragen, das Gummiprofil wieder zu ergänzen? Womöglich mit einem stabileren Material, das sich nicht mehr so schnell abnutzt. Wäre er zufrieden, wenn der Mechaniker nach der Reparatur des Reifenprofils sein Werk zeigt, mit den Worten: Schauen sie mal, das haben wir suuuper hingekriegt, man sieht gar nichts mehr, sogar der Farbton stimmt mit den anderen Reifen überein, sie können jetzt getrost weiterfahren.

Ja, das liest sich absurd. Denn selbst ein absoluter Technik-Dummie würde bei einem einseitig abgefahrenen Reifen nicht auf solche Ideen kommen. Beim Auto ist jedem völlig klar, dass hier zwar ein einseitiger Luftdruckmangel im Reifen ursächlich sein kann. Kann! Doch jeder würde sofort auf eine fehlerhafte Spureinstellung tippen. Und den meisten wird auch klar sein, dass auch die fehlerhafte Spureinstellung eine Ursache haben muss. Das kann ein zu großes Lenkspiel sein, ein Problem mit der Lenkhydraulik, vielleicht die Folge einer Vollbremsung in einer Kurve, vielleicht hat man einen Randstein ungünstig erwischt, vielleicht liegt es auch an einer doofen Angewohnheit, zu sportliches Fahren, … ich bin auch kein Autospezialist, doch es wird mit Sicherheit noch mindestens ein Dutzend weitere Ursachen geben, was zu einem einseitigen Reifenverschleiß führt. Und wenn wir nicht wollen, dass der Reifen in zwei Wochen wieder abgefahren ist, dann müssen wir etwas mehr unternehmen, als nur den Reifen zu erneuern. Das ist doch klar.

Wir kommen zurück zum Hallux valgus. Wenn wir der Situation nachhaltig begegnen wollen, dann wird uns, wohl oder übel, nichts anderes übrig bleiben, als die Problematik (genau wie beim abgefahrenen Reifen) in einem größerem Zusammenhang zu betrachten. Was zieht das Zehengrundgelenk nach außen? Ist es nur eine Sehne oder ein Muskel? Was ist noch alles daran beteiligt? Warum sind bestimmte Faszien übernatürlich hart und kurz? Ist es eine Fehlbelastung im Fuß? Wo kommt diese her? Warum ist das Bewegungsmuster so, dass Verhärtungen und Fehlstellungen entstehen? Führt der Hallux valgus zum Knick-, Spreiz- oder Senkfuß? Oder ist es im vorliegenden Fall genau umgekehrt? … Ihr seht, es wird komplexer. Wenn sich bei einem einseitig abgefahrenen Reifen ein gutes Dutzend Ursachen ausmachen lassen, dann sind wir beim Hallux valgus mindestens beim zehnfachen. Das Problem wird nicht nur komplexer, es wird auch individueller. Ich möchte sagen, auch wenn das Ergebnis am Fuß bei fast allen so ziemlich gleich aussieht, bei jedem liegt eine ganz persönliche und auch einzigartige Geschichte dahinter. Jeder Mensch ist anders gebaut. Jeder Mensch hat ein anderes Bindegewebe und andere Faszien. Jeder Mensch hat andere Bewegungsmuster und Gewohnheiten. Es ist klar, es kommen mehr Ursachen in Betracht, als die Stöckelschuhe, das weiche Bindegewebe und die harte Achillessehne. Gleichwohl dürfte klar sein, dass gegen den Hallux valgus nicht für jeden die gleiche Standardübung sinnvoll ist.

Meine Erkenntnis ist, dass der Hallux valgus eine sehr individuelle Situation darstellt. Ich sehe die Zusammenhänge nicht nur in den Spannungen in den Füßen sondern im ganzen Körper. Meines Erachtens haben erlernte Bewegungsmuster einen überaus großen Einfuß auf die Entwicklung eines Hallux valgus. Ich glaube nicht an ein Gen, das diese Zehenfehlstellung verursacht. Dafür sehe ich den Menschen als Herdentier, der schon in jüngsten Jahren die Bewegungsmuster des älteren Herdentieres, des Elterntieres nachahmt. Also das natürliche Lernen von den Eltern. Damit eignet sich das Junge Tier neben den gleichen Bewegungsmustern auch die dazugehörigen Probleme dieser Muster an. So überträgt sich der Hallux valgus sehr ungenetisch von der Großmutter, zur Mutter, zur Tochter und auch vom Vater zum Sohn.


Wie ich darauf komme, so etwas zu behaupten. Wie ich zu meinen Erkenntnissen über den Hallux valgus komme. Das erfahrt ihr im 3. Teil des Blogbeitrags.



bottom of page