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Hallux valgus (Teil 4) - ein höchst individuelles Geschehen

Als Rolfer bin ich gewohnt, den Patienten als Ganzes zu betrachten, denn ich arbeite an der Statik des Menschen. Die Statik ist immer einem Gesamtkonzept unterworfen, gerade, wenn es sich um ein Lebewesen handelt, das sich mit seinem ausladenden, schweren Oberkörper auf zwei, verhältnismäßig kleinen Fußsohlen bewegt. Wenn sich in so einem empfindlichen System auch nur ein einziger Faktor verändert, dann verändert sich alles. Ändert sich beispielsweise die Oberkörperachse, in dem der Kopf etwas mehr nach vorne gerät, so ändert sich das komplette Spannungsmuster in den Beinen und folglich auch in den Füßen.


Probiert es ruhig einmal aus

Schiebt euren Kopf etwas nach vorne und ihr werden merken, dass sich die Spannung in euren Waden ändert. Ihr werdet auch merken, dass sich die Spannung und die Belastung eurer Füße ändert. Macht ein Hohlkreuz, oder das Gegenteil. Ihr werdet auch da merken, wie sich die Spannungen in eurer gesamten Beinmuskulatur und euren Füßen verändert. Ja, probiert es aus. Egal was ihr in eurem Oberkörper verändert, es erzeugt eine Veränderung in euren Beinen und Füßen. Und es ist immer etwas anderes. Das passiert nicht nur mit so einer willkürlich und kurzfristig herbeigeführten Veränderung der Statik. Es passiert natürlich im Alltag. Es passiert bei Verletzungen, die eine Schonhaltung bewirken, es passiert bei ungünstigen Arbeitshaltungen, bei speziellen Sportarten und vor allem bei doofen Angewohnheiten. Da merken wir natürlich nicht, dass hierbei mit unseren Füßen etwas geschieht. Unser Fokus ist in diesen Momenten wo anders.

Und hier kommt´s. Alles an Spannungen, was in unserem Körper, so auch in unseren Waden und Füßen dauerhaft da ist, das wird härter, kürzer und unbeweglicher. Alle Spannungen, vor allem die dauerhaften und härteren, verziehen unsere Körperform.

So ein Geschehen bemerken wir im normalen Leben natürlich nicht. Es geht schleichend einher. Wir merken es erst, wenn sich etwas wirklich sichtbar verformt, oder/und weh tut. Und auch da, ich habe es bereits im ersten Teil beschrieben, sind wir Menschen suuuper im Verdrängen und Hinnehmen. Eine Ursache zeigt hier nicht nur eine und, die wieder verschwindet, sobald die Ursache weg ist, sondern die Ursache erzeugt auf Dauer eine Veränderung, welche bleibt.


Eine Patientin bei der Übung in der Praxis

Zurück zu unserer Hallux valgus – Problematik.

Einer der ersten Sätze die ich bei meinem Kurs „Hallux valgus – was kann ich selber tun?“ zu meinen Kursteilnehmern sage: „Egal was ich hier über den Hallux valgus, über seine Entstehung, über seine Zusammenhänge sage, es sind immer 90% fälle. Egal, was ich sage, es wird immer jemand dabei sein, bei dem es genau nicht so ist, sondern genau anders.

Ich mache mir hier einmal den Spaß, alle Strukturen und Zustände aufzuzählen, welche an der Entstehung dieser Problematik beteiligt sein können.

Verhärtung der rückseitigen Wadenmuskulatur, Verhärtung der Achillessehne, Verhärtung der Plantarfaszie, Verhärtung des Fußoberseite, Verhärtung der vorderen Wadenmuskulatur, Verhärtung der Adduktoren, Verhärtung der Abduktoren, Verhärtung des oberen Rückens, Verhärtung des unteren Rückens, Verhärtung des Beckenbodens, zu harte Bauchmuskulatur, zu schwache seitliche Bauchmuskulatur, ein zu steifes Becken, ein zu flexibles Becken, X-Beine, O-Beine, Knick-Fuß, Senk-Fuß, Spreiz-Fuß, Verlust der Kraft des Fußgewölbehebers, Verlust der Kraft des Großzehbeugers, Verlust der Kraft des Großzenabspreizers, Verlust der Kraft des gesamten langen Fußgewölbes, Verlust der Kraft des Fußquergewölbes, Verlust der Kraft der Abduktoren, Verlust der Kraft der Adduktoren, ein Hohlkreuz, ein Hohlrücken, Beckenschiefstand, Skoliose, Hüftdysplasie, zu flache Atmung, verhärteter Brustkorb, Asthma, ein paradoxes Atemmuster, Verdauungsprobleme, Essstörungen, chronische Magenbeschwerden, Verhärtung des Hüftbeugers, Schwäche des Hüftbeugers, störende Narben am Oberbauch, störende Kaiserschnitt-Narben, störende Blinddarmnarben, Veränderungen durch eine Hüft-OP, größere störende Narben im Oberkörperbereich, Schulter-OP, Knie-OP, Hohlfuß, Morbus Chron, Bindegewebsschwäche, schwere hormonelle Entgleisungen, Akromegalie (durch übertriebenes Doping), Rachitis, VitaminD-Mangel, zu enge Schuhe, zu breite Schuhe, zu hohe Schuhe, zu harte Schuhe, zu harter Schuhabsatz, Unsicherheit beim Gehen/Laufen, Unsicherheit beim Auftreten, Schüchternheit, Verklemmtheit, zu viel barfuß-laufen auf zu harten und glatten Böden, stehend berufliche Tätigkeit, Ängste, Verklemmtheit, Gefühlsarmut in den Füßen, schwere Verletzungen der Fuße, und, – ich hab mir sagen lassen, dass auch das relevant ist – , Hexerei, Verfluchung und böses Karma. Wenn ich noch länger überlegen werden mir sicher noch weitere einfallen. Ich hoffe ich hab nichts zweimal genannt.

Wie bitte, soll es bei dieser Latte an „Ursachen“ oder „relevanten Begleitsymptomen“ einen einheitlichen Therapieansatz geben? Die Ursachen und Begleitsymptome sind teilweise so verschieden und widersprüchlich, dass es kaum einen Fall gibt, der gleich wie ein anderer gelagert ist. Ist es vor diesem Hintergrund sinnvoll nur am Fuß zu arbeiten? Nein.

Das Hallux-valgus-Problem ist ein komplexes und vor allem ein individuelles Problem. Um diesem Problem therapeutisch mit einer gewissen Nachhaltigkeit zu begegnen ist es unabdingbar, die gesamte Körperstatik und die gesamte gesundheitliche Situation zu betrachten. Wenn ich auch nur irgendetwas an einem komplexen, ausgewogenen System, nachhaltig verändern möchte, dann muss ich das komplette System mit auf dem Plan haben. Anderen Falls wird das System wieder zum gewohnten und einfacheren Muster zurückkehren, auch wenn dies das ungünstigere Muster darstellt.

Darum, wer der Sache nachhaltig begegnen möchte, der kommt nicht umhin, sich mit seiner Körperstatik zu befassen. Der kommt um regelmäßige Übungen nicht herum und an einer umfassenden Therapie seiner Körperstatik nicht vorbei.

Ich weis, das ist nichts für jene, die eine schnelle und simple Lösung anstreben. Wer es nur irgendwie, hauptsächlich schnell haben will, dem ist tatsächlich eine OP anzuraten. Mit allen Risiken natürlich. Und die Risiken gibt es. In meiner Praxis komme ich mit vielen Patientinnen in Kontakt, die auch schon eine Halux-OP hinter sich haben. In meinen regelmäßigen Kursen „Hallux valgus – was kann ich selber tun?“ habe ich immer genau 10 Teilnehmerinnen, oft auch einen Mann. Hieraus kann ich ganz gute statistische Erfahrungen ableiten. Viele von ihnen sind tatsächlich mit dem Ergebnis einer Halux-valgus-OP zufrieden. Zwei von Zehn würden so eine OP nicht mehr machen lassen und eine Patientin von zehn hat nach diese OP mehr Probleme als vorher. Doch auch Patientinnen die mit der OP zufrieden waren sind trotzdem in meinem Kurs. Das sind meine groben statistischen Erkenntnisse. Mehr will ich zur „OP-Lösung“ hier gar nicht sagen. Schlussendlich muss das jeder selber entscheiden.


Erfahrt im nächsten Teil etwas über mögliche Lösungsansätze.

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