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Körperwahrnehmung ? – wir sind doch froh wenn wir nichts spüren !!!

Nikolaus Lesti erklärt Körperwahrnehmung in dem er an einer Backsteinwand lehnt und die Ziegel streichelt

Ich erinnere mich noch sehr gut daran als ich das letzte mal so richtig von Kopfschmerzen geplagt war. Oh, wie wünscht man sich in so einer Situation, dass man nicht so viel von seinem Körper wahrnimmt. Und gerade bei der Arbeit! Es stört einfach und behindert die Konzentration. Es führt meine Aufmerksamkeit zu meinem Kopf. Weg von meiner Arbeit. Mein Körper drängt sich geradezu penetrant in den Vordergrund meiner Wahrnehmung. Das brauche ich doch nicht, vor allem dann nicht, wenn ich eine verantwortungsvolle Arbeit am Patienten verrichte, was Konzentration verlangt.


Ja, und genau bei dieser Arbeit fällt mir auf, sobald ich vollkommen in meiner Arbeit versunken bin, mit voller Konzentration, mit all meinen Sinnen: Da nehme ich den Kopfschmerz nicht wahr.


Der Kopfschmerz ist hier natürlich ein krasses Beispiel. Aber es zeigt, dass mit steigender Konzentration die Körperwahrnehmung nachlässt, dass wir Menschen in der Lage sind, sogar Schmerzen auszublenden, zu Gunsten unserer Arbeit. Eine geniale Fähigkeit unseres Systems.


Es scheint so, als wären gerade wir Menschen in besonderen Maße mit dieser Fähigkeit ausgestattet. Sobald wir uns intensiv mit etwas befassen, uns konzentrieren, sind wir mit unserer Wahrnehmung mehr außerhalb unseres Körpers. Unser Empfinden für unseren Körper, für uns selbst wird geringer. Wir besitzen hier eine wunderbare Einrichtung, die uns befähigt, komplizierteste und umfangreichste Werke zu vollbringen, mit schier unendlicher Ausdauer können wir uns in eine Aufgabe verbeißen, ohne dass wir von unserm Körper dabei „gestört“ werden. Und – es macht uns Spaß, in diesem Modus zu arbeiten. Bei dieser Art von „Jagt nach Ergebnissen“, werden Glückshormone (Endorphine) ausgeschüttet. Wir fühlen uns gut und machen weiter. Wir „sind“ quasi unser Projekt. Wir merken oft nicht einmal, dass wir Durst und Hunger haben. Wir merken auch nicht, dass wir längst Rückenschmerzen haben, dass unser Nacken verspannt ist, weil wir seit Stunden in unmöglicher Position auf einem unbequemen Stuhl sitzen.


„Gut fürs Projekt – schlecht für unseren Körper.“


Für diese wundervolle und geniale Fähigkeit, mit der wir Menschen gesegnet sind, zahlen wir einen hohen Preis.


Mag jetzt jemand sagen: Gut dass ich nicht so viel arbeite. Und gut, dass es einen geregelten Feierabend gibt. Zum Ausgleich gehe ich nach der Arbeit ins Fitnessstudio und danach gemütlich auf die Couch vor den Fernseher – Entspannung pur.


Wir Menschen sind so genial, dass wir auch gelernt haben, uns selbst auszutricksen. Und so gehen wir ins Fitnessstudio um uns einen Ausgleich zur Arbeit zu verschaffen. Dort tauschen wir lediglich das Projekt. Wir stemmen unsere Kilos, strampeln unsere Einheiten und hampeln den Parkour durch. Das Gefühl das es uns gut tut, beziehen wir oft wieder über die ausgeschütteten Glückshormone, das Gefühl, oder mehr die mentale Gewissheit, es geschafft zu haben und dem Körper somit was „Gutes“ getan zu haben. Und das Maß mit dem gemessen wird, sind irgendwelche Tabellen und auch die Leistungen der anderen. Ob tatsächlich alles für unseren Körper so gut war, was wir im Studio geleistet haben bleibt dahingestellt.


…Bitte versteht mich nicht falsch, ich will keinen bremsen, der Fitness betreibt. Und ich möchte auch die Fitnessstudios nicht in die Pfanne hauen. Vielen Orts sind gewissenhafte Trainer zugegen, die ihre Klienten fürsorglich betreuen. Und Fitness ist bei vielen Menschen eine wirkliche Zuneigung und Auseinandersetzung und Bewusst-Machung ihres Körpers. …


Nun zuhause, der entspannende Fernseher. Ich sage immer: Die Maschine, die wir Menschen erfunden haben, um uns Entspannung und Ruhe zu suggerieren, und uns gleichzeitig im Stress-behafteten „Jagdmodus“ der Konzentration zu halten.


Denn wo sind wir beim Fernsehen? Na, im Fernseher, in der Story, im Film, in den Nachrichten. Der Krimi läuft und wir sind mitten drin. Die Augen auf einen durch die Bildschirmbreite begrenzten Horizont fixiert. Dabei merken wir auch erst wenn die Chipstüte leer ist und wir keinen Brösel mehr darin finden, dass wir etwas gegessen haben. Und aus Hunger – so und so nicht. Wir haben auch keinen Durst und sonst kein menschliches Bedürfnis, solange der Mörder nicht überführt ist. Dies verkaufen wir unserem Körper als Entspannung. In Wirklichkeit ist es purer Stress. Durch die Endorphine merken wir das nicht.


Permanent in diesem Modus zu leben, mit der Aufmerksamkeit im Außen, unsere Bedürfnisse und ureigensten Empfindungen ignorierend, betreiben wir Raubbau an unserem System. Es bleiben viele lebenswichtige Gefühle und Empfindungen, wie das Durstgefühl auf der Strecke. Auch das Gefühl für genügend Atemluft und ein klar wahrnehmbares Sättigungsgefühl kennt kaum jemand mehr. Geschweige denn das Gefühl für richtiges angenehmes und aufrechtes sitzen.


Dieser Mangel an Wahrnehmungsfähigkeit für lebenswichtige Empfindungen an und in unserem Körper stellt die Hauptursache sämtlicher Erkrankungen dar, denen speziell wir als Menschen ausgesetzt sind.


So genial die Fähigkeit, Gefühle auszublenden für die Weiterentwicklung unserer Gattung war und ist, soviel Unheil vermag sie auch über uns zu bringen. Hätten wir da nicht eine weitere Fähigkeit, welche die Tiere kaum besitzen: Die Fähigkeit zu reflektieren. Wir können bewusst inne halten und uns selbst beobachten. Das passiert bei den meisten Menschen nicht von selbst. Wir müssen uns dazu entscheiden, es absichtlich tun. Dann ist es uns möglich, praktisch einen „Scan“ an uns durchzuführen. Dabei können wir tatsächlich wieder ein Stück näher an die Gefühle für unseren Körper kommen. Wir kommen dabei vom „Außen“ zu unseren Körper zurück. Wir sind wieder im Stande zu fühlen, was unserem Körper fehlt, nach was ihm ist, was er braucht, was ihm gut tun würde.


Gut, das hört sich jetzt sehr einfach an, vielleicht einfacher als man glauben möchte. Darum lade ich Sie ein, – gleich hier und jetzt – an der einfachsten und kürzesten aller Meditationen teilzunehmen: Ganz egal, ob Sie jetzt stehen, sitzen oder liegen. Sie müssen nicht einmal die Augen schließen. Machen Sie einfach einen etwas tieferen Atemzug und beobachten Sie wie die Luft durch Ihre Nase und die Luftröhre in Ihre Lungen strömt, wie sich Ihr Brustkorb bewegt, und wie die Luft wieder aus Ihnen heraus strömt. Fertig. Sie haben es geschafft. Sie sind – zumindest für diesen kurzen Momet – mit Ihrem Empfinden in Ihrer Mitte angekommen. Gerne können Sie jetzt beliebig weiter machen und in andere Körperteile hinein spüren. Aber fürs erste reicht es mal. Sie haben Ihren Atem wahrgenommen. So einfach geht das.


Die Menschheit hat schon sehr früh erkannt, dass die mangelnde Körperwahrnehmung ein gesundheitliches Problem darstellt. Darum haben die Menschen schon vor einigen Tausend Jahren Yoga erfunden, um uns wieder mehr zu unserem Körper zurück zu bringen. Und der Erfindergeist hat niemals nachgelassen. Eine sehr verbreitete Körperarbeit ist zum Beispiel die Feldencrais-Methode, bei der mit langsamen und bewussten Körperübungen genau diese fehlenden Körperempfindungen wieder zum Leben erweckt werden.


Seit 2006 die Forschung an jenem Gewebe einsetzte, welches alles in unserem Körper miteinander verbindet, den „Faszien“, seither weiß man, dass den Faszien auch die wichtige Aufgabe der Wahrnehmung zufällt. Also, dass zur Pflege unserer Faszien, zur Faszienfitness auch das trainieren der empfindenden Funktion unseres Körpers dazugehört. In allen modernen Ratgebern und Lehrbüchern über Faszien gibt es hierfür auch einen entsprechenden Übungsteil.


Und auch hier, so finde ich, ist es nicht sinnvoll, nur irgendwelche Übungen durch zu exerzieren. Vielmehr möchte ich Sie einladen öfter mal einfach Ihre allzu wichtige Arbeit für einen kleinen Augenblick zu verlassen und mit Ihrem Bewusstsein zu Ihrem Körper zurückzukommen, um hin zu spüren, was Ihr Körper in genau diesem Moment braucht. Es gibt hierfür in der deutschen Sprache einen schönen Begriff, der dies wunderbar zum Ausdruck bringt: „Inne halten“


Ich selbst habe mich in meiner Heilpraktiker-Praxis auf die Rolfing®-Methode spezialisiert, eine manuelle Körpertherapie, die zum einen an der Aufrichtung und Befreiung der Körperachsen arbeitet, andererseits, und das ist mir vor allem wichtig, arbeite ich an der Bewusstmachung des Körpers und seiner Bewegungsmuster. Mir geht es um ein „artgerechtes Menschenleben“. Ich möchte die Menschen wieder zu ihrer Mitte leiten. Denn nur aus einer freien, beweglichen und bewussten Körperachse entspringt die Quelle eines glücklichen, gesunden und erfolgreichen Lebens.


Eine weiter gute Möglichkeit mit sich selbst wieder mehr in Verbindung zu kommen ist eine Familenaufstellung.

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